18
Feb 2011

Kino: Ich bin Nummer Vier (Nachtrag)

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Ich bin Nummer Vier1 USA 2011. Regie: D. J. Caruso. Darsteller: Alex Pettyfer, Timothy Olyphant, Dianna Agron, Teresa Palmer u.a.

Story: John Smith lebt nur oberflächlich die sorglose Existenz eines Teenagers mit erwachsenem Begleiter: Als Flüchtling eines Alien-Krieges versteckt er sich auf der Erde, zusammen mit acht anderen. Doch drei wurden bereits ermordet, und die skrupellosen außerirdischen Häscher kommen John immer näher. Da hilft es nicht, dass der Junge mit den erstaunlichen Kräften sich in Paradise/Ohio das erste Mal wirklich verliebt…

Kritik: Die Sperrfrist ist rum, die Besprechung fertig – die Überraschung gering.

“Ich bin Nummer Vier” saugt. “Ich bin viertklassig” wäre ein nicht weniger angemessener Titel für diese so skrupellos wie uncharmant auf die Demoskopie hin gebrochene Teenie/Romance/Action-Schmonzette. Einer der Kollegen meinte vorab “Twilight mit Aliens” – und trifft es damit genau.

Es liegt nicht daran, dass ich ein in den 80ern sozialisierter, schlecht gealterter Nerd bin, dem die Zielgruppe fremd ist. Ein guter Kritiker unterscheidet sich vom schlechten dadurch, dass er abstrahieren kann, dass er “Finde ich schlecht” nicht mit “Ist schlecht” verwechselt. Aber selbst wenn ich meinen eigenen Geschmack außen vor lasse und “Ich bin Nummer Vier” konsequent nach objektiven Maßstäben bewerte, ist der Film (fast – dazu komme ich noch) ein Totalausfall. Dazu muss man kein erklärter Gegner des schwülstigen Teen Fantasy-Genres zu sein.

“Ich bin Nummer Vier” ist schlicht und ergreifend schlechtes Kino, Zielgruppe hin oder her.

Es gibt keinen Plot jenseits von “John ist auf der Flucht vor Alien-Häschern” zu erzählen, die Laufzeit wird stattdessen angefüllt mit Soap-Elementen, peinlichen Pappcharakteren (der Nerd, der Jock, die Mitläufer), Highschool-Intrigen und gelegentlich eingestreuten Actionsequenzen, die schmerzhaft offensichtlich nur vom Wegschalten während der Werbeunterbrechung der TV-Verwertung abhalten sollen. Es passiert nie, was logisch ist, sondern nur, was die Dramaturgie gerade braucht (die ganze Sequenz mit dem Karneval ist ein perfektes Beispiel). Am Ende steht keine irgendwie geartete Auf- oder Erlösung (dafür bräuchte es ja einen Plot), sondern lediglich die gelungene Zusammen- und Einführung einer kleinen Gruppe, die uns durch die erhofften Fortsetzungen begleiten soll.

Ich bin Nummer Vier 3
In einem Universum, in dem “Twilight” nie in die Kinos gekommen ist, würde dieser Streifen da landen wo er hin gehört – als Pilotfilm einer TV-Serie auf CW oder Fox Family. Konsequenterweise bemüht er sich auch an keiner Stelle, einem höheren Anspruch als dem eines Serienpiloten im Stile von “Vampire Diaries”, “Smallville” und “Roswell” gerecht zu werden.

Die Regiearbeit von D.J. Caruso (“Disturbia”), der durchaus Erfahrung und Stilgefühl mitbringen sollte, ist nicht erkennbar – erschreckend oft scheinen die Darsteller keine Ahnung zu haben, welche Emotionen sie den hölzernen Dialogen beilegen sollen, es wird von Szene zu Szene geschnitten wie mit der Kettensäge, und elementare gruppendynamische Vorgänge bleiben außen vor. Ergebnis: null emotionale Bindung des Zuschauers an das Geschehen auf der Leinwand.

Die Kameraarbeit ist ebenso lustlos, bleibt flach und standardisiert, als ginge es darum, jede Kinotauglichkeit konsequent zu verleugnen. Die Musik suggeriert Epossenhaftigkeit, die von den Bildern nicht gedeckt wird. Und auch die Kostümierung und der Setbau bekleckern sich nicht mit Ruhm: Nennenswert interessante Locations gibt es nicht, und die Bösewichte sehen aus wie Ferengi, die gerade vom “Blade”-Fetischball kommen. Jeglicher Style glänzt durch Abwesenheit.

Die darstellerischen Leistungen reichen von “wird für die Präsenz bezahlt” (Timothy Olyphant) bis zu “kann Präsenz vermutlich nicht mal schreiben” (Alex Pettyfer). Es gibt keine nennenswerten Charaktere – nur Haupt- und Nebenrollen. Die Archetypen sind so peinlich leer, das man sich mitunter das Grinsen nicht verkneifen kann. Nur ein Beispiel: Die romantische Heldin Sarah ist zwar blond, aber voll intelligent – weil, die trägt ein schwarzes Barett und fotografiert total künstlerisch mit analogem Film! Vermutlich, weil Brillen als weiblicher IQ-Indikator mittlerweile eher im Pornofilm vorkommen…

Ich bin nummer vier2
Was “Twilight” und “Ich bin Nummer Vier” letztlich unterscheidet, ist in meinen Augen dies: Bei “Twilight” verstehe ich das Interesse der Zielgruppe, wenn ich es auch nicht teile. Kristen Stewart ist knusprig, und als 13jähriges Mädchen mag man Robert Pattinson doll süß finden, wenn man ein Faible für “heroin chic” hat. Vampire sind per se cool. Aber “Ich bin Nummer Vier” ist nicht (mal peinlich) sexy, nicht mysteriös, nicht getragenen von einer wenigstens potentiell interessanten Mythologie. Es ist eine Ansammlung von dutzendfach durchgekauten Elementen, die kein Ganzes ergibt, nach Marktforschung zusammen gestellt von Erwachsenen, die augenscheinlich keinerlei emotionales Verständnis für die Zielgruppe mitbringen.

Der Genpool von “Ich bin Nummer Vier” lässt sich problemlos analysieren. Michael Bay als Produzent sorgt für den Mangel an echter Emotion, die völlige Abwesenheit von Logik, und die Pinup-Szenen der sexy Schlampe auf dem Motorrad. Alfred Gough und Miles Millar, die Erfinder von “Smallville”, sind für die “teen angst” zuständig. Marti Noxon, eine der besseren Autorinnen von “Buffy”, liefert dann die kick-ass Blondine mit den coolen Sprüchen für den dritten Akt. Beschämend nur, das jeder der Beteiligten hier sein Waterloo erlebt: “Ich bin Nummer Vier” ist schlechter als “Transformers”, “Smallville” oder “Buffy”. Diese vielen Köche haben den Brei gründlich verdorben.

So wenig, wie “Ich bin Nummer Vier” Kino ist, so wenig ist es Science Fiction. Der galaktische Krieg, der John auf die Erde gebracht hat, wird ebenso wenig gezeigt oder erklärt wie die diversen Abhängigkeiten der Figuren. Es bleibt alles nur behauptet, angedeutet – das bisschen “alien tech”, das wir zu sehen bekommen, ist zweitklassiger Budenzauber. Ob John nun ein Alien ist oder ein Dämon, es ist herzlich wurscht. Die Elemente gleichen sich, nur die Begriffe wurden ausgetauscht.

Nun erinnert sich der eine oder andere noch daran, dass ich weiter oben geschrieben habe, dass der Film “fast” ein Totalausfall ist. Und es ärgert mich, dass ich ihn deshalb auch nicht uneingeschränkt in die Tonne treten kann. Ich gebe es zu: Das Finale geht in Ordnung. Teresa Palmer (von der wir in “Restraint” deutlich mehr zu sehen bekommen haben) bringt als Chickfighter etwas Leben in die Bude, und dann prügeln sich zwei Alien-Monster, bis eine ganze Highschool in Schutt und Asche liegt. Respekt. Das ist dann auch endlich in der Inszenierung mit einem gewissen Schmiss vollzogen, so dass man vielleicht doch nicht zur Kinokasse stampft, um lautstark das Eintrittsgeld zurück zu verlangen.

Nur muss man sich dafür durch die 100 Minuten davor quälen.

Fazit: Twilight mit Aliens – in schlimm. Mit guten zehn Minuten hinten dran. Kein Kino, keine DVD, kein Sky. Wartet auf die Ausstrahlung auf ProSieben.

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Nachtrag: Danke an Leser, die mich auf DIESEN Artikel aufmerksam gemacht haben. Er ist sehr lang, aber ebenso lesenswert, wenn man mal wissen möchte, wie ein entlarvter Windbeutel die Jugendbuch-Szene aufmischt.



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HomiSite
18. Februar, 2011 19:23

Hatte den Trailer letztens vor Tron gesehen, glaub ich, und frug mich da schon, was DAS denn sein soll… Okay, genauso verwirrt war ich vom Trailer zu Der Adler der neunten Legion und dass in zwei mir entfallenen Trailern das gleiche Lied benutzt wurde (“Saturday”, mir nur bekannt von Nickelback). Anyway, was ist denn “Epossenhaftikeit” (mind. ein “g” fehlt)? 😛
Was ist denn am Horizont an guter SF/Fantasy zu sehen (ohne Marvel/DC)?

Peroy
Peroy
18. Februar, 2011 19:27

Michael Bay ist ein Mensch wie du und ich und auch er hat Gefühle… :*(

Jeff Kelly
Jeff Kelly
18. Februar, 2011 19:32

“Marti Noxon, eine der besseren Autorinnen von “Buffy””
Für mich wäre das eher Jane Espensen, die auch deutlich mehr credits hat wo sie wirklich als Autor auftritt (neben Buffy unter anderem auch Battlestar Galactica, Warehouse 13, Torchwood) und nicht als executive producer.
Außerdem weigere ich mich einfach jemanden gut zu finden der sowohl Gray’s Anatomy als auch Private Practice mitzuverantworten hat 😉

Jeff Kelly
Jeff Kelly
18. Februar, 2011 19:33

@Peroy: Wenn er welche hat, warum behält er sie dann aber immer nur für sich selbst und gibt nicht mal ein paar davon ab? 😉

Peroy
Peroy
18. Februar, 2011 19:38

“@Peroy: Wenn er welche hat, warum behält er sie dann aber immer nur für sich selbst und gibt nicht mal ein paar davon ab? ”
Wei Michael Bay keine Pussy ist, du Droddl !

Wortvogel
Wortvogel
18. Februar, 2011 20:10

@ Homisite: “Anyway, was ist denn “Epossenhaftikeit”?”
Ich hätte Epik schreiben können, fand die Erfindung von Epossenhaftigkeit aber alberner.
Schau dir die Trailer vom Superbowl an, was die großen SF-Filme dieses Jahres angeht. Ansonsten bin ich da nicht schlauer als du.

comicfreak
comicfreak
18. Februar, 2011 20:20

@ Wortvogel
..danke!
@ Peroy
..ich hätte schwören können, dass du dir gleich Karten reservieren lässt..

Peroy
Peroy
18. Februar, 2011 20:36

Nö, der Film interessiert mich so viel wie der andere Streifen über’s Stottern…

Marko
18. Februar, 2011 20:38

“Ein guter Kritiker unterscheidet sich vom schlechten dadurch, dass er abstrahieren kann, dass er “Finde ich schlecht” nicht mit “Ist schlecht” verwechselt.”
Das könnten sich gern mal ein paar mehr Kritiker auf die Fahne schreiben, danke für dieses Statement.

XXX
XXX
18. Februar, 2011 20:52

“Was ist denn am Horizont an guter SF/Fantasy zu sehen”
“Der Plan” und “Womb”.

heino
heino
19. Februar, 2011 00:58

Na, wenn das nicht bestätigt, dass Maulkörbe für die Journaille in der Regel auf echte Stinker hindeuten. Der Trailer war ja schon deutlich genug, danke also für die Warnung.-)

Strabo
Strabo
19. Februar, 2011 13:43

Den Film schaue ich mir schon alleine deswegen nicht an weil er mit James Frey und dessen mehr als fragwürdigen Methoden und Umgang mit Jungautoren in Zusammenhang steht.
http://nymag.com/arts/books/features/69474/
http://whatever.scalzi.com/2010/11/13/the-man-in-the-frey-flannel-suit/
http://whatever.scalzi.com/2006/01/09/january-is-national-literary-fraud-month/

Gregor
19. Februar, 2011 13:48

Der Film ist von A bis Z ein Reissbrett-Projekt, auch was das Tie-in mit der gleichzeitig laufenden Romanreihe anbelangt (von James “A Million Little Pieces” Frey und irgendeinem Jungautor).
Die Reihe soll übrigens auf sechs Teile ausgelegt sein.
Jedenfalls: Die konsequente Zielgruppenbedienung ist fast schon erfrischend zynisch: Eine (natürlich unerfüllte) Romanze und schmalzige Popsongs für die Mädels, Action und Monster für die Jungs und zu guter Letzt ein kleiner Hund für den allgemeinen Niedlichkeitsfaktor.
Zu meiner Schande muss ich aber gestehen: Trotz der ganzen Anbiederung und trotz der infantilen Story (für Teenager halt) hat mir der Film gefallen. Zwar gibt’s zu Anfang die eine oder andere Länge, aber alles in allem wird die Story flott vorangetrieben und das Finale rockt in der Tat. (Das Ding ist aber definitiv kein Kino-Must-See.)
Über eins bin ich aber nicht hinweggekommen: Dass wieder einmal Teenager fast durchgehend von Twens gespielt werden.

Wortvogel
Wortvogel
19. Februar, 2011 14:11

@ Gregor/Strabo: Danke für die Hinweise, ich habe das in den Artikel aufgenommen. Die New York-Story ist wirklich unglaublich. Es gibt wohl kaum einen zynischeren Manipulator als Frey in der Branche und es ist bezeichnend, dass Spielberg und Bay auf den Zug aufgesprungen sind – auch wenn die momentanen Zahlen es nicht so aussehen lassen, als würde “Ich bin Nummer Vier” nennenswert Wellen machen.

Lars
Lars
19. Februar, 2011 14:56

Vergesst bei der Reisbretthaftigkeit auch nicht Dianna Agron: Dank Glee dürfte die in den USA mittlerweile auch ziemlich bekannt sein (in der Zielgruppe wahrscheinloch sogar “Star”), allerdings weiß ich nicht, wie stark mit ihr geworben wird (und ich hab jetzt auch keine Lust den Trailer anzugucken ;)).

Thies
Thies
19. Februar, 2011 17:13

Ruft wenigstens eine der Figuren während des Films “I’m not a number, I am a free person!”? 😉

Thies
Thies
19. Februar, 2011 20:47

Ooops, das gemeinte Zitat lautet eigentlich: “I am not a number, I am a free man!”
http://www.youtube.com/watch?v=9AL7npkSXZE&feature=player_detailpage#t=159s